Erstgespräch

Gesunder Egoismus: Jedem das Seine, mir das Meiste!

Warum es gesunden Egoismus nicht gibt

Bei einem Seminar erklärte ein Teilnehmer, er lebe einen „gesunden Egoismus“. Das hat mich stutzig gemacht. Kann Egoismus überhaupt „gesund“ sein? Etwas Gesundes ist etwas Gutes.

Der Egoist und der Egoismus haben einen schlechten Ruf. Egoismus ist die Perfektion des gelebten Ichs. Ein Egoist steht im Mittelpunkt seiner Welt, die sich nur um ihn dreht. Er kennt zuerst nur sich und seine Belange, die absoluten Vorrang haben. Der Egoist sorgt dafür, dass alles so ist, wie er es für richtig hält. Das setzt er oftmals zu Lasten der Menschen in seinem Umfeld um.

Natürlich ist es wichtig, dass es jedem gut geht. Jeder braucht ein gutes Maß an Achtsamkeit für sich selbst. Doch wird jemand gleich zum Egoisten, der seine eigene Person über alles stellt? Wer gute Selbstsorge betreibt, ist nicht gleich ein Egoist.

Schlimm an diesem Ausdruck ist die Verbindung von dem wohltuenden Wort „gesund“ und dem negativen Wort „Egoismus“. Der Egoismus rückt durch das positive Gesundheits-Image in ein sehr vorteilhaftes Licht. Somit wird der Egoismus salonfähig und gar erstrebenswert, denn diese Form des Egoismus ist ja schließlich „gesund“.

Kaum einer stellt sich hin und sagt „Ich bin ein Egoist!“ und erwartet dafür noch Beifall. Ist die Rede von einem „gesunden Egoismus“ klatschen viele Beifall und wollen nacheifern. Doch was ist daran „gesund“, wenn es einem Menschen auf Kosten anderer gut geht?
Diese sprachliche Konstruktion trägt dazu bei, per Sprachverwirrung etwas negatives oder werteverletzendes akzeptabel und positiv darzustellen. Das Adjektiv „gesund“, das heute ohnehin in aller Munde ist, sorgt dafür.

Immer wieder treffe ich auf solche Konstrukte. Ob „sozialverträglicher Stellenabbau“, um Kündigungen positiv darzustellen, oder „alternative Fakten“, um Falschbehauptungen zu rechtfertigen oder zu legitimieren – manche Kombination stürzt sowohl Sprecher als auch Zuhörer in ein Wechselbad der Gefühle und wir lassen in der Regel die positiven Emotionen gewinnen. Doch ein schaler Beigeschmack bleibt am Positiven haften.
Natürlich erregen manche Kombinationen auch Mitleid oder schüren Ängste, wie bei den „notleidenden Banken“ oder der „Flüchtlingsflut“ und „Rentnerschwemme“.

Wer sprachlich engagiert ist, durchschaut solche unpassenden Wortkombinationen auf den ersten Blick. Andere müssen die Konsequenzen erst erfahren. Denn auch ein „gesunder Egoismus“ rächt sich irgendwann. Bei den zu Beginn noch beeindruckten Kollegen, die jedoch ständig die Arbeiten des Egoisten auffangen müssen, verblasst mit der Zeit der Glauben an das „Gesunde“ am Egoisten.

Wenn Sie sich auch um sich selbst sorgen, dann frönen Sie bitte nicht mangels Alternativen einen „gesunden Egoismus“. Benutzen Sie stattdessen weniger verletzende Aussagen wie „Ich achte auf mich selbst.“ oder „Ich sorge dafür, dass es mir gut geht.“

Erstveröffentlichung und Copyright (c) 2019, Astrid Weidner.
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