Erstgespräch

Das Sprachrohr in unserer Kommunikation

Sprechen Sie schon oder röhren Sie nur?

In der Vorstandssitzung ergreift einer das Wort und leitet seinen Beitrag mit „Ich bin das Sprachrohr von…“ ein. Er will damit mitteilen, dass er für eine bestimmte Gruppe oder Interessensrichtung spricht. Doch was bedeutet das wirklich?

Ein Sprachrohr ist eine trichterförmige Hülle, die lediglich das gesprochene Wort akustisch verstärkt. Laut Wikipedia erfand der Engländer Samuel Morland bereits 1670 diese Form der Schallverstärkung. (1)

Ein Sprachrohr ändert inhaltlich nichts. Doch dieses Bild der Sprachverstärkung ist grundlegend falsch. Es suggeriert, dass der Sprecher nur ein Mitteilungsorgan ohne eigenes Zutun ist.

Menschen sind nicht in der Lage, Dinge ohne persönliche Note weiterzugeben. Selbst wenn jemand den Text eines anderen nur vorliest, gibt er ihm durch seine Stimme, Artikulation, Satzmelodie, Gestik, Mimik und Pausensetzung ein eigenes Gepräge.

Der Gedanke hinter dem „Megafon“ hat somit auch eine metaphorische Bedeutung. Ein „Sprachrohr“ gibt die Positionen und Meinungen anderer wieder – oftmals unreflektiert und unkritisch.

Indem sich ein Sprecher zum Sprachrohr degradiert, nimmt er sich jegliche Handlungskraft und geht in die Verantwortungsverweigerung. Andere vertreten schließlich diese Meinung – er ist „ja nur deren Sprachrohr!“ Dies ist besonders lästig, denn ein solcher Sprecher übernimmt keine Verantwortung für das, was er „nur ausgerichtet“ hat. Hier bekommt der Begriff „ausrichten“ eine doppelte Bedeutung. Zum einen wird etwas weitergetragen, zum anderen wird dem Inhalt auch eine „Aus-Richtung“ gegeben.

Manche verwenden diesen Begriff, um darzustellen, dass sie sich nicht aufspielen wollen. Sie vermitteln, dass sie keinen eigenen Nutzen von ihren Aussagen haben und sich in bescheidener Weise in den Dienst anderer stellen. Das ist zwar redlich und ernst zu nehmen, dennoch falsch. Wer sich für andere einsetzt, hat das Recht auf Würdigung seiner Beiträge. Er darf ernten und auch für seine eigenen Belange eintreten, nicht nur für die anderer.

Während Megafone und Schalltrichter aus toter Materie bestehen, sind menschliche Sprachrohre lebendig und formen durch ihr Empfinden, Denken, Handeln und Sprechen ihre Umgebung. Sie beeinflussen mit ihrer persönlichen Note, auch wenn sie angeblich nur den Standpunkt anderer übermitteln oder nach außen vertreten. Leider tun sie das, ohne dafür gerade zu stehen oder sich der Sache inhaltlich anzunehmen. Durch diese Selbstdegradierung zum Sprachrohr oder die Verantwortungsverweigerung als Sprachrohr erfuhren schon vielen Menschen Leid.

Anstelle eines starken Vermittlungsorgans schwächen sie sich selbst und übernehmen die banale Botenrolle. Ein klares „Ich vertrete folgenden Standpunkt mit diesen anderen zusammen…“ bringt dem Inhalt eine Gewichtung, nennt Ross und Reiter und zeugt von einer klaren Position und einer direkten Verantwortung. Dann wird aus dem leblosen Sprachrohr ein organischer Sprecher.


(1) gefunden auf https://de.wikipedia.org/wiki/Sprachrohr am 21.09.2018

Erstveröffentlichung und Copyright (c) 2018, Astrid Weidner.
Alle Rechte bei der Urheberin. Nachdruck, Vervielfältigung oder Verbreitung nur mit ausdrücklicher Genehemigung der Autorin (info@astrid-weidner.de). Verlinkung ist erlaubt.
All rights reserved. Reprint, copying or distribution with author’s permission only (info@astrid-weidner.de). Linking is permitted.

Eine schwarze Amsel sitzt und singt oben auf einer Tanne

Erhalten Sie alle zwei Wochen einen Gruß aus meiner Sprachküche - Anregungen zur Alltagssprache. Dazu erhalten Sie viermal im Jahr Neuigkeiten aus meinem Unternehmen – wie neue Angebote und Literaturempfehlungen.

Sprachtipps & Newsletter abonnieren