Ursachenforschung offenbart, dass Einsamkeit evolutionär kurzfristig durchaus sinnvoll war, da Menschen ohne stetigen Kontakt zur Horde Gefahren alleine ausgesetzt waren und somit geringere Überlebenschancen hatten – wir sind soziale Wesen, keine Alleingänger. Das Gefühl der Einsamkeit sollte uns so womöglich dazu bringen, unsere eigenen Bedürfnisse stärker wahrzunehmen und unsere Sozialkontakte zu pflegen – in vergangenen Zeiten den Bezug zur Horde aufrechtzuerhalten.
Langfristig jedoch kann uns das Gefühl von anderen entfernen, wenn wir uns zu sehr auf uns selbst konzentrieren. Eine Langzeitstudie über zehn Jahre belegt, dass Ichbezogenheit und Einsamkeit miteinander korrelieren und sich gegenseitig begünstigen. Die Durchführenden beobachten, dass Einsamkeit in einem Jahr mit besonderer Ichbezogenheit im Jahr darauf korreliert und vice versa. Menschen, die zu lange einsam sind, fokussieren sich demnach zu stark auf sich selbst, was dazu führen kann, dass sie sich erst recht einsam fühlen.[1] Demnach ist es zwar gut und richtig, sich seiner Bedürfnisse bewusst zu sein und diese zu pflegen, doch soll dies im Rahmen eines gesunden Gleichgewichts geschehen, das auch soziale Begegnungen beinhaltet. So lässt sich die Entstehung eines Teufelskreises verhindern.
Bemerkenswerterweise ist die Anzahl der Freunde und Bekannten kein Kriterium für Einsamkeit – manche Menschen brauchen mindestens ein Dutzend enge Kontaktpersonen, um sich nicht einsam zu fühlen, andere brauchen nur eine Handvoll oder gar keine – durchschnittlich haben Deutsche 3,7 enge Freunde.[2] Fatal ist, wenn die tatsächliche Zahl der Sozialbeziehungen von der gewünschten Zahl abweicht.
Aufgrund der genannten evolutionären Faktoren versetzt Einsamkeit unseren Körper in eine Art Alarmzustand – der dann dauerhaft vermehrt das Stresshormon Cortisol ausschüttet; der Blutdruck ist erhöht und das Immunsystem geschwächt. Studien belegen, dass dies die Entstehung von Depressionen, Phobien, Herzinfarkten, Schlaganfällen und Demenz begünstigt. Cortisol hemmt zudem die Bildung sogenannter Killer-Zellen, die vielseitige Funktionen des Immunsystems innehaben und unter anderem eine Rolle bei der Verhinderung von Krebs spielen. Bei sozialer Interaktion hingegen steigt die Anzahl an Killer-Zellen. Kurz gesagt: wer wenige Sozialkontakte hat, hat im Schnitt ein schlechteres Immunsystem und ist anfälliger für Krankheiten als Menschen mit ausreichend sozialer Interaktion.[3] Die US-amerikanische Neurowissenschaftlerin Julianne Holt-Lunstad vergleicht daher in einer umfassenden Meta-Studie mit über 300.000 Probanden die körperlichen Auswirkungen des Phänomens Einsamkeit mit denen von Fettleibigkeit und Alkoholismus.[4]
Außerdem sind einsame Menschen weniger resilient als ihre Mitmenschen. Sie fühlen sich von Krisen, Herausforderungen und Stress in ihrem Leben durchschnittlich schneller bedroht und stehen ihnen oft hilflos gegenüber. Betroffene sehen keine Chancen in Lebenskrisen, sondern verschließen sich, resignieren und zerbrechen schließlich unter der psychischen Last. Die Gestaltung des sozialen Netzwerks ist deswegen auch eines der drei zentralen Handlungsfelder im Aufbau von Resilienz – neben der Bewältigung von sachlichen Herausforderungen und einer sorgsamen Selbstfürsorge.
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[1] Stangl, W. (2020). Stichwort: ‚Einsamkeit‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik. https://lexikon.stangl.eu/17319/einsamkeit/ (15.10.2020); Cacioppo, J. T., Chen, H. Y. & Cacioppo, S. (2017). Reciprocal Influences Between Loneliness and Self-Centeredness: A Cross-Lagged Panel Analysis in a Population-Based Sample of African American, Hispanic, and Caucasian Adults. Personality and Social Psychology Bulletin, 43, 1125-1135. https://doi.org/10.1177/0146167217705120
[2] Schneider, P. (2018, 26. Juli). Deutsche haben 3,7 enge Freunde – Offene Kommunikation und Fürsorge in einer Freundschaft am wichtig. YouGov. https://yougov.de/news/2018/07/26/deutsche-haben-37-enge-freunde-offene-kommunikatio/ (15.10.2020)
[3] Franck, A. (2019, 26. April). So sehr kann uns Einsamkeit krank machen. Quarks. https://www.quarks.de/gesellschaft/psychologie/so-sehr-kann-uns-einsamkeit-krank-machen/#einsamkeit1 (15.10.2020)
[4] Holt-Lunstad, J., Smith, T., Baker, M., Harris, T., Stephenson, D. (2015). Loneliness and Social Isolation as Risk Factors for Mortality: A Meta-Analytic Review. Perspectives on Psychological Science. 10. 227-237. 10.1177/1745691614568352., Holt-Lunstad, J., Smith, T. B., Layton J. B. (2010). Social Relationships and Mortality Risk: A Meta-analytic Review. PLOS Medicine 7(7): e1000316. https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1000316
Erstveröffentlichung und Copyright (c) 2020, Astrid Weidner.
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