Nach dem vorigen Beitrag zu ich muss wissen Sie nun, wo Menschen die Phrase unnötiger- und unbedachterweise verwenden. Doch wie entfaltet sich ihre destruktive Wirkung konkret?
Der Mensch strebt nach Freiheit. Durch die Verwendung von müssen entsteht unbewusst ein starker Widerspruch zwischen dem Zwang, etwas Bestimmtes tun zu müssen und der konsequenten Umsetzungsverweigerung. Das mindert die Glaubwürdigkeit des Sprechers. Der passionierte Partygänger, der angeblich gehen muss, bleibt, und geht erst mit dem Letzten aus der Tür. Und wer glaubt daran, wenn jemand sagt: „Ich muss den Keller aufräumen.“
Diese Art von Aussagen sind eine starke Art der Opfersprache. Mit müssen drückt der Sprecher Zwang aus – und das, obwohl echte Alternativlosigkeit im Leben nur wenigen Ereignissen vorbehalten ist. Der Sprecher wirkt jammernd auf seine Umgebung und irritiert unbewusst.[1]
Dies überträgt er auch auf der audiovisuellen Ebene. So zieht ein Sprecher bei ich muss die Augenbrauen kritisch nach oben und runzelt die Stirn. Außerdem wirkt er in sich zusammengefallen und spricht angespannt und monoton. Er wirkt auf andere abweisend und angestrengt. Diese Bedrückung festigt sich im Sprecher und überträgt sich auf sein Gegenüber: Er ist ein Jammerlappen, ein vom LKW überfahrenes Häufchen Elend auf zwei Beinen.
So viel dazu. Erfahren Sie im nächsten Beitrag noch mehr über die destruktive Wirkung von ich muss.
[1] Vgl. von Scheurl-Defersdorf, Mechthild R.: In der Sprache liegt die Kraft! Klar reden, besser leben, Freiburg: Herder, 2011, S. 102.
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